Herausforderung Demenz
Demenzielle Erkrankungen (Alzheimer, vaskuläre Demenz etc.) und andere kognitive Beeinträchtigungen (mild cognitive impairment) werden das Sozial- und Gesundheitssystem, aber auch unsere Gesellschaft insgesamt, in Zukunft vor weit größere Herausforderungen stellen, als sie bereits heute merklich sind. In Österreich sind derzeit gut 100.000 Menschen von einer demenziellen Erkrankung betroffen, die Prognosen sagen für das Jahr 2050 eine Zahl von 235.000 bis 270.000 Personen voraus.[1] Diese Entwicklung erfordert nicht nur Antworten in organisatorischer oder finanzieller Hinsicht, sondern zwingt auch zur grundlegenden ethischen Auseinandersetzung. Der nationale Ethikrat in Großbritannien hat dazu bereits 2009 einen umfangreichen Bericht herausgegeben, der zahlreiche ethisch relevante Themen in der Versorgung von Demenzkranken aufgreift.[2] In ähnlicher Weise hat der Deutsche Ethikrat 2012 eine Stellungnahme verfasst.[3] Darüber hinaus werden ethische Fragen in etlichen Fachpublikationen zur Demenz problematisiert. Doch um welche ethischen Themen handelt es sich hierbei genau?
Systematische Erforschung ethischer Themen bei Demenz
Um den grundsätzlichen Konsens, dass Demenz vielfältige ethische Fragen aufwirft, zu konkretisieren, unternahmen Strech et al. eine systematische Untersuchung.[4] Sie durchforsteten Fachpublikationen zur Demenzversorgung und entwickelten mit den Suchergebnissen eine Systematik an Krankheitsspezifischen ethischen Themen (disease-specific ethical issues, DSEI). Als ethischer Referenzrahmen diente Strech et al. die Prinzipienethik von Beauchamp & Childress, wobei die Entwicklung von DSEI ein Beispiel für die Konkretisierung der vier ethischen Prinzipien von Respekt vor Selbstbestimmung, Wohltun, Nichtschaden und Gerechtigkeit ist. Die Systematik der DSEI umfasst 7 Hauptkategorien, welche wiederum in zwei weitere Ebenen untergliedert wurden (insgesamt 56 DSEI): (1.) Diagnose und medizinische Indikation, z.B. Risiko, ungenaue Diagnosen zu stellen, weil die Abgrenzung zwischen demenziellen Erkrankungen und anderen kognitiven Beeinträchtigungen nicht ausreichend berücksichtigt wird; (2.) Beurteilung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit, z.B. Erfahrung und Beurteilung durch Angehörige wird unterschätzt; (3.) Aufklärung, z.B. Angemessene Fülle und Art der Aufklärung; (4.) Entscheidungsfindung und Konsens, z.B. Risiko der Infantilisierung; (5.) Soziale und kontextabhängige Aspekte, z.B. Risikoeinschätzung der Fremdgefährdung; (6.) Versorgungsprozess, z.B. Patienten-orientierte Gestaltung der Umgebung; (7.) Spezielle Situationen, z.B. Freiheitsbeschränkende Maßnahmen. – Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollten bei der Entwicklung von klinischen Leitlinien, Informations- und Trainingsmaterial sowie strategischen Plänen auf Organisations- und Gesellschaftsebene berücksichtigt werden, um die umfassende Berücksichtigung ethischer Themen in der Demenzversorgung zu gewährleisten.
Berücksichtigung von Ethik in Demenz-Leitlinien
Ethik konkret machen
Referenzen
[1] Gleichweit S, Rossa M. Erster Österreichischer Demenzbericht. Wien: Wiener Gebietskrankenkasse; 2009.
[2] Nuffield Council on Bioethics. Dementia: ethical issues. Cambridge: Cambridge Publishers; 2009.
[3] Deutscher Ethikrat. Demenz und Selbstbestimmung: Stellungnahme. Berlin: Deutscher Ethikrat; 2012.
[4] Strech D et al. The full spectrum of ethical issues in dementia care: systematic qualitative review. Br J Psychiatr 2013;202:400–6.
[5] Knüppel H et al. Inclusion of ethical issues in dementia guidelines: a thematic text analysis. PLOS Med 2013;10(8):e1001498.
[6] Dorner T, Rieder A, Stein KV. Besser leben mit Demenz: Medizinische Leitlinie für die integrierte Versorgung Demenzerkrankter. Wien: Competence Center Integrierte Versorgung Wiener Gebietskrankenkasse; 2011.