Kindeswohl im Gesetz präzisiert


Kindeswohl als Maxime

Das Kindeswohl gilt als leitender Gesichtspunkt im Umgang mit Minderjährigen. Rechtlich wird darauf insbesondere im ABGB und in der familienrechtlichen Judikatur Bezug genommen. Der bislang geltende § 178a ABGB begnügte sich mit einer sehr kurz gefassten Beschreibung des Begriffs „Kindeswohl“. Durch das Kindschafts- und Namensrechtsänderungsgesetz 2013 (KindNamRÄG 2013) wurde das Kindeswohl nunmehr präzisiert.[1]

Kriterienkatalog

Im neuen § 138 ABGB werden 12 Kriterien festgehalten, die das Kindeswohl konkretisieren sollen: (1.) angemessene Versorgung; (2.) Fürsorge, Schutz von körperlicher und seelischer Integrität; (3.) Wertschätzung; (4.) Förderung; (5.) adäquate Berücksichtigung der Meinung des Kindes; (6.) Schadensminimierung bei notwendigen Maßnahmen gegen den Willen des Kindes; (7.) Vermeidung der Gefahr, Übergriffe oder Gewalt zu erleiden oder mitzuerleben; (8.) Vermeidung von rechtswidriger Verbringung oder Zurückhaltung; (9.) Kontakt zu beiden Elternteilen und wichtigen Bezugspersonen; (10.) Vermeidung von Loyalitätskonflikten und Schuldgefühlen; (11.) Wahrung der Rechte und Interessen des Kindes; (12.) die Lebensverhältnisse. – Trotz Nennung dieser 12 Kriterien bleibt das Kindeswohl ein abstrakter Rechtsbegriff, d.h. Gerichte haben am konkreten Fall festzustellen, ob bzw. inwiefern das Kindeswohl gefährdet ist. Die Kriterien des Kindeswohls müssen, wie schon bisher, kontextbezogen interpretiert werden. Sie bedienen sich dabei fachlicher (psychologischer, pädagogischer etc.) Gutachten.

Moralisierung des Rechts

Mit dem neuen Kriterienkatalog wird die elterliche Verantwortung insofern erhöht, als gleichsam ein Pflichtenkatalog aufgestellt wird, den es von den Obsorgenden zu beachten gilt.[2] Wenngleich damit kein staatliches Leitbild der guten Erziehung proklamiert werden kann, weil ein solches unverhältnismäßig stark in das Grundrecht der elterlichen Erziehungsfreiheit eingreifen würde, so kann der neue § 138 ABGB doch als Beispiel für die Moralisierung des Rechts dienen. Der Kriterienkatalog formuliert nämlich Ansprüche an das elterliche Verhalten, die von moralischen Pflichten (vgl. Kriterien 6, 7, 8) bis hin zu Entwürfen eines guten Lebens (für das Kind) reichen (vgl. Kriterien 3, 4). Eine solche Moralisierung wird auch in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage deutlich, wenn es dort beispielsweise heißt: „Im Rahmen einer sorgfältigen Erziehung des Kindes ist – seinem Alter entsprechend – auch auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Förderung seiner eigenständigen Entwicklung und der Vermittlung von Werten und Regeln zu achten.“[3]

Die Diagnose, wonach in die gesetzliche Präzisierung des Kindeswohls eine Moralisierung des Rechts darstellt, ist per se noch keine Abwertung dieses Vorgangs. Es zeigt sich vielmehr, dass die rechtliche Normenbildung nicht ohne Bezug auf sollens- und strebensethische Überlegungen auskommen kann.

Referenzen

[1] Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013 – KindNamRÄG 2013, BGBl. I 2013/15.

[2] Kathrein G. Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013. Österr Jurist Z 2013;68(6):197-214.

[3] KindNamRÄG 2013 ErläutRV 2004 BlgNR 24. GP:17.