Bildung statt Ethik aus dem Bauch heraus

Moralität: Automatisierte Ethik

Jede/r von uns betreibt Ethik. Sehr viele unserer ethisch relevanten Urteile und Entscheidungen treffen wir quasi automatisiert. Wir haben die entsprechenden Kriterien und Maßstäbe seit unserer frühesten Kindheit entwicklungspsychologisch und in unserer sekundären Sozialisierung internalisiert. Wie alle automatisierten Programme sind auch unsere ethischen Denk- und Entscheidungsprozesse in gewisser Hinsicht sehr nützlich: Sie liefern schnelle und zuverlässige Urteile, die uns beispielsweise darin hemmen, vollkommen egoistisch zu agieren, weil wir intuitiv wissen, dass wir auf die Kooperation mit anderen Menschen angewiesen sind.

 

Das Problem mit unserer automatisierten, internen Moralität ist allerdings, dass sie nicht für jede Art von ethischen Konflikten ausgelegt ist. In einer pluralistischen Gesellschaft gibt es unterschiedliche, mitunter entgegengesetzte Vorstellungen davon, was moralisch richtig oder falsch ist, was im Leben erstrebenswert oder zu vermeiden ist oder welche Charaktereigenschaften vorbildlich oder verachtenswert sind. Eine intuitive „Ethik aus dem Bauch heraus“ hilft hier nicht weiter.[1] Ganz im Gegenteil: unreflektiertes Moralisieren verschärft in der Regel Konflikte. Um dieser Falle der „Bauchethik“ zu entgehen, ist Bildung notwendig. Ethik argumentieren und entscheiden kann gelernt werden. Dabei muss man auch die automatisierte Moralität auf die Probe stellen – ein Hinterfragen der eigenen Positionen und Urteile, wie es schon Sokrates praktiziert hat.

Bauchethik allein reicht nicht

Im vorliegenden Newsletter wird das Ethik-Bildungsprogramm der Barmherzigen Brüder Österreich für 2014 vorgestellt. Das Programm läuft nunmehr im dritten Jahr und bietet den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit, ihre Ethikkompetenz zu stärken. Dem Auftrag der Barmherzigen Brüder entsprechend konzentriert sich das Bildungsprogramm naturgemäß auf Fragen der klinischen Ethik, d.h. auf jene Fragen, die in der unmittelbaren Versorgung von PatientInnen und BewohnerInnen relevant sind. Die Veranstaltungen des Bildungsprogramms dienen dabei nicht nur einer Wissensvermittlung, sondern auch dem persönlichen Austausch von Erfahrungen und der gemeinsamen Erarbeitung von Bewältigungsstrategien und Standards.

 

Mittlerweile ist die Aus-, Fort- und Weiterbildung im Bereich der biomedizinischen Ethik und v.a. der klinischen Ethik international bereits ein gutes Stück professionalisiert. Das Bildungsprogramm der Barmherzigen Brüder Österreich, an dem jedes Jahr zahlreiche MitarbeiterInnen aus verschiedensten Berufsgruppen und Fachbereichen teilnehmen, leistet einen Beitrag dazu, diesen Weg des fachkundigen und sorgsamen Umgangs mit ethischen Fragen weiterzugehen.


Referenzen

  1. Greene J. Moral Tribes: Emotion, Reason, and the Gap Between Us and Them. New York, NY: Penguin Press; 2013.