Vorläufiges Ende eines Rechtsstreits
Wie im Newsletter 2013/1 berichtet, hatte sich der Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit Anträgen des Obersten Gerichtshofs (OGH) und eines lesbischen Paares auseinanderzusetzen, wonach jene Bestimmung des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG), welche die artifizielle intrauterine Insemination nur heterosexuellen Paaren erlaubt (§ 2 Abs. 1 FMedG), als verfassungswidrig aufzuheben sei. Nunmehr ist der VfGH diesem Antrag gefolgt und hat eine Reihe von Bestimmungen des FMedG aufgehoben.[1] Erstens dürfen nunmehr lesbische Paare eine artifizielle intrauterine Insemination in Anspruch nehmen. Zweitens steht nun auch heterosexuellen Paaren die Inanspruchnahme einer IVF mit Fremdsamen generell offen (§ 3 Abs. 1 und 2 FMedG). Drittens fällt die Voraussetzung der Unfruchtbarkeit für die Inanspruchnahme einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung weg (§ 2 Abs. 2 FMedG).[2]
Gleichheitssatz und Verhältnismäßigkeit
Der VfGH begründet seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die derzeitige Regelung des FMedG eine sachlich nicht nachvollziehbare pauschale Unterscheidung zwischen heterosexuellen und lesbischen Paaren vornehme. Das vom Gesetzgeber angeführte Hauptargument der Missbrauchsabwehr bei Leihmutterschaft spiele gerade bei der artifiziellen intrauterinen Insemination in lesbischen Lebensgemeinschaften keine Rolle: Hier braucht das Paar nämlich keine dritte Person für die Schwangerschaft. Die derzeitige Beschränkung des FMedG könne auch nicht mit dem Schutz der Familie gerechtfertigt werden: Der VfGH hält hierzu fest, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften die Ehe und heterosexuelle Lebensgemeinschaften nicht verdrängen würden, sondern zu diesen hinzuträten und sie daher nicht gefährden könnten. Somit wäre ein pauschales Verbot medizinisch assistierter Fortpflanzung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften unverhältnismäßig.
Keine Aussage zu anderen Konstellationen
Der VfGH verwies darauf, dass der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und die grundrechtliche Beurteilung in anderen Konstellationen anders aussehen können. So wären Fälle einer Eizellenspende für eine sachlich differenzierte Beschränkung grundsätzlich eher geeignet als die artifizielle intrauterine Insemination. Doch auch hier muss sich der Gesetzgeber in der Umsetzung und Begründung argumentativ darum bemühen, die Geeignetheit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit von Beschränkungen plausibel zu machen.
Krankheitsbehandlung oder Wunschmedizin?
Die Kritiker einer Ausweitung rechtlich erlaubter medizinisch assistierter Fortpflanzung führen neben den Argumenten von Risiken der Leihmutterschaft und Schutz der Familie u.a. ins Treffen, dass die Freigabe die Reproduktionsmedizin von ihrem ursprünglichen Konzept der Krankheitsbehandlung immer mehr zum Paradigma der wunscherfüllenden Medizin führe. Dass lesbische Paare ohne medizinisch assistierte Fortpflanzungstechniken keine leiblichen Kinder haben, liege nicht daran, dass sie krank seien, sondern daran, dass die Natur in diesem Fall keine Fortpflanzung vorgesehen habe. Dies zu beheben sei, so die Kritiker einer Freigabe, aber nicht die Aufgabe der Reproduktionsmedizin.[3]
Nächste Schritte
Der Gesetzgeber hat nun bis 31.12.2014 Zeit, um die aufgehobenen Bestimmungen des FMedG neu zu regeln, er kann aber auch das FMedG ohne die aufgehobenen Bestimmungen weitergelten lassen. Vor dem Hintergrund der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Gleichheitssatzes der österreichischen Bundesverfassung muss der Gesetzgeber innerhalb des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums allfällige rechtliche Beschränkungen von medizinisch assistierter Fortpflanzung ethisch begründen. Dazu zählt nicht nur eine argumentative moralische Beurteilung, sondern auch die Abwägung sachlich begründeter außermoralischer Aspekte wie z.B. die Risikoeinschätzung der Leihmutterschaft.
Referenzen
[1] VfGH 10.12.2013, G 16/2013, G 44/2013 (iFamZ 2014/3, EF-Z 2014/38). • BGBl. I 2014/4.
[2] Kopetzki C. Fortpflanzungsmedizinrecht im Umbruch. RdM. 2014;21(1):1. • Fischer-Czermak C. Medizinisch unterstützte Fortpflanzung für lesbische Paare. EF-Z. 2014;9(1):61-63.
[3] Prüller M. Culture Clash. Die Presse, 19.1.2014, S. 47.