Krebs-Screening-Programme unter ethischer Kritik


Österreichische und internationale Debatten

Krebs-Screening-Programme (KSP) sind eine systematische, bevölkerungsweite Untersuchung von Personen zwecks Früherkennung von onkologischen Erkrankungen. Ein der österreichischen Öffentlichkeit bekanntes Beispiel ist das Brustkrebs-Früherkennungsprogramm mittels Mammographie.[1] Während die österreichische Debatte über weite Strecken um die Frage kreist, wie mehr Frauen dazu gebracht werden könnten, am Programm teilzunehmen, stellt man sich international im Rahmen der Public Health Ethik die Frage, inwieweit man von KSP Abstand nehmen sollte. Wie kommt es zu einer solch kritischen Betrachtungsweise?

Fragliches Nutzen-Risiko-Verhältnis

Der Kern der ethischen Kritik bezieht sich auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis von KSP. Die Evidenzlage zur Frage, welchen Nutzen Teilnehmerinnen von KSP tatsächlich haben bzw. welchen Risiken und Belastungen sie sich dadurch aussetzen, ist inkonsistent.[2] Zudem bereitet die Interpretation verfügbarer Daten oft Schwierigkeiten: Den Hauptnutzen, den sich Teilnehmerinnen von z.B. einem Mammographie-Screening erwarten, betrifft einen Überlebensvorteil durch frühzeitiges Erkennen und Behandeln einer Krebserkrankung. Hierbei verwechseln viele Menschen jedoch die relative Risikoreduktion (Wie viele Frauen sind mit oder ohne Screening an Brustkrebs verstorben?) mit der –  eigentlich relevanten – absoluten Risikoreduktion (Wie viele Frauen sind mit oder ohne Screening insgesamt an Krebs gestorben?).[3] Ein weiterer ethischer Kritikpunkt betrifft die mitunter mangelhafte Kommunikation der Risiken eines KSP. Neben Belastungen und Risiken durch die Untersuchungsmethode selbst (z.B. bei einer Koloskopie), ist insbesondere das Risiko durch falsch positive Befunde zu berücksichtigen: Weitere, oftmals invasive Abklärungen sowie Übertherapien ohne Nutzen für die Betroffenen werden durch fälschlicherweise festgestellte Anzeichen für Krebs ausgelöst.

Tabuzone Kritik an Screening

Eine offene, kritische Debatte um KSP wird dadurch erschwert, dass die Infragestellung der Art und Weise von bestimmten KSP rasch als unsolidarischer Akt gegenüber Krebserkrankten interpretiert wird. So erzeugte ein Bericht des Swiss Medical Board über Mammographie-Screening heftige Reaktionen, weil das Fachgremium in diesem Dokument empfahl, die bestehenden Programme einzustellen.[4]

Pauschalurteile sind unzureichend

Wie Marckmann und in der Schmitten festhalten, sind KSP weder uneingeschränkt abzulehnen, noch uneingeschränkt zu befürworten.[5] Der Respekt vor der Selbstbestimmung von (potenziellen) Nutzern eines KSP verlangt, sie in die Lage einer wohlinformierten Entscheidungsfähigkeit zu bringen. Dazu braucht es evidenzbasierte Informationen über den Nutzen von KSP-Maßnahmen und das damit verbundene Risiko bzw. die einhergehenden Belastungen. Für bevölkerungsweite Programme sollte Evidenz aus prospektiven, randomisierten Studien vorliegen, aus denen eine absolute Mortalitäts-Risikoverringerung und/oder Steigerung der Lebensqualität hervorgeht. Darüber hinaus gehört zu einer ethisch verantwortungsbewussten Entscheidungsfindung, unter dem Blickwinkel von Fairness und Verteilungsgerechtigkeit auch die Kosteneffektivität von KSP transparent und damit diskutabel zu machen.[4] Eine solche ethische Analyse kann letztlich dazu führen, dass es gerechtfertigt ist, die Teilnahme an bestimmten KSP nachdrücklich zu empfehlen, an anderen KSP freizustellen und wieder andere KSP einzustellen.

Referenzen

[1] Wiener Gebietskrankenkasse. Früh erkennen: Österreichisches Brustkrebs-Früherkennungsprogramm. http://www.frueh-erkennen.at/ (abgerufen 11.7.2014).

[2] Gotzsche PC, Nielsen M. Screening for breast cancer with mammography. Cochrane Database Syst Rev. 2013;6:CD001877. Weedon-Fekjaer H et al. Modern mammography screening and breast cancer mortality: population study. BMJ 2014;348:g3701.

[3] Harding-Zentrum für Risikokompetenz. Nutzen und Risiken der Brustkrebs-Früherkennung. Berlin: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. https://www.harding-center.mpg.de/de/gesundheitsinformationen/faktenboxen/mammographie (abgerufen 11.7.2014).

[4] Swiss Medical Board. Systematisches Mammographie-Screening: Bericht vom 15. Dezember 2013. Zollikon: Fachgremium Siwss Medical Board. http://www.medical-board.ch/fileadmin/docs/public/mb/Fachberichte/2013-12-15_Bericht_Mammographie_Final_rev.pdf (abgerufen 11.7.2014). Biller-Andorno N, Jüni P. Abolishing mammography screening programs? A view from the Swiss Medical Board. N Engl J Med. 2014;370(21):1965–7.

[5] Marckmann G, in der Schmitten J. Krebsfrüherkennung aus Sicht der Public-Health-Ethik. Bundesgesundheitsbl. 2014;57(3):327–33.