Ethische Fragen im Kontext der Ebola-Epidemie


Wissenschaft und gesellschaftliche Moral

Im Kontext der derzeitigen Ebola-Epidemie hat sich eine internationale Debatte um damit verbundene ethische Fragen entwickelt. Teilweise handelt es sich hierbei um eher wissenschaftliche Themen, teilweise berühren die Themen aber auch Fragen der gesellschaftlichen Moralvorstellungen. Im Folgenden werden die zentralen ethischen Fragen der Debatte dargestellt.

Inwieweit dürfen ungetestete Medikamente am Menschen eingesetzt werden?

Die Entwicklung und der Einsatz von Arzneimitteln unterliegen strengen Regeln, wie sie insbesondere in der Deklaration von Helsinki grundlegend formuliert und im nationalen wie internationalen Recht umgesetzt wurden. Zu diesen Regeln zählen u.a. die Prinzipien von Nichtschaden und Informed Consent:

 

Das Nichtschaden-Prinzip begründet, dass Menschen nicht einem unverhältnismäßigen Risiko ausgesetzt werden dürfen, wenn sie an einer Medikamentenstudie teilnehmen. Um das Risiko zu senken, gibt es mehrere Teststufen, in denen ein Wirkstoff zunächst an Tieren und dann schrittweise an Menschen unter streng kontrollierten Bedingungen erprobt wird, um herauszufinden, ob er sicher und wirksam ist. Bei den derzeitigen Ebola-Impfstoff-Hoffnungsträgern befindet sich die Testung erst im Anfangsstadium, sodass nicht hinreichend über der Sicherheit oder Wirksamkeit beim Menschen geurteilt werden kann. Im schlimmsten Fall könnten durch den Einsatz nicht ausgetesteter Präparate zusätzliche Menschen sterben.

 

Das zweite zentrale Prinzip, der Informed Consent, begründet, dass potenzielle StudienteilnehmerInnen über die Risiken des Versuchs aufgeklärt werden und die Teilnahmer freiwillig zustimmen müssen. Dieses Erfordernis ist bei den Ebola-Präparaten aus mehreren Gründen nicht einlösbar. Zum einen kann man die Betroffenen gar nicht ausreichend aufklären, weil das Sicherheitsprofil des Präparats beim Menschen nicht beschrieben ist. Zum anderen muss in Frage gestellt werden, ob eine Zustimmung angesichts der äußeren Umstände überhaupt freiwillig sein könnte.

 

Die katastrophale Lage im Kontext der derzeitigen Ebola-Epidemie hat jedoch im ethischen Diskurs dazu geführt, die strengen Anforderungen der Forschungsethik in diesem Fall zu suspendieren. Die WHO hat sich dazu entschlossen, auch nicht am Menschen ausgetestete Präparate einzusetzen.[1] Die Erlaubnis ist u.a. mit der Auflage verbunden, den Einsatz wissenschaftlich zu evaluieren, um rasch auf neue Erkenntnisse reagieren zu können.

 

Einige Ethiker haben im Vorfeld darauf hingewiesen, dass eine solche Entscheidung immer Gefahr läuft, dann kritisiert zu werden, wenn tatsächlich Menschen durch den Einsatz nicht ausgetesteter Präparate Schaden nehmen. Man könne sich schon jetzt die Schlagzeilen in den Medien vorstellen, die beklagen, dass AfrikanerInnen in ihrer Not zu willfährigen Testsubjekten missbraucht worden seien. Gegen eine solche moralisierende Auffassung lässt sich allerdings das Argument anführen, dass der Einsatz im konkreten Kontext eine ultima ratio war, dessen Risiken man redlich versuchte, ex ante zu beurteilen.

Wer soll die knappen experimentellen Präparate erhalten?

Die zweite Frage des ethischen Diskurses greift ein klassisches Thema der Sozialethik auf: jenes der Verteilungsgerechtigkeit. Die Präparate, in die man zur Vorbeugung gegen oder Behandlung von Ebola Hoffnungen setzt, sind knapp. Wie würde also ein fairer Einsatz aussehen? Bislang wurden die Präparate nur an westlichen Personen getestet, die aus Afrika in die USA und nach Europa evakuiert wurden. Diese Vorgehensweise wird – den unsicheren Status der Präparate ungeachtet – von etlichen Beobachtern als diskriminierend angesehen: Während nämlich ein ungeheurer Aufwand für die Rettung einiger weniger westlicher Personen betrieben wird, hätten die tausenden Afrikaner keine Chance auf eine solche Behandlung.[2]

 

Dieses Argument knüpft an eine in vielerlei Hinsicht begründete Kritik der Sozialethik an. In der Tat werden nämlich allein im Bereich der öffentlichen Gesundheit die Entwicklungs- und Schwellenländer der Welt in der Bekämpfung von Epidemien weitgehend alleine gelassen. Die Entwicklung und Distribution von Impfstoffen und Medikamenten für etliche Infektionskrankheiten ist schlichtweg nicht lukrativ genug, um darin zu investieren. Damit bleiben ganze Krankheitsbilder unbeachtet („orphan diseases“) und die davon betroffenen Menschen unterversorgt.

 

Es wäre jedoch zu simpel, die ethische Verantwortung alleine hinsichtlich der Verteilungsgerechtigkeit von Medikamenten zu sehen. Gerade die jüngste Ebola-Epidemie führt vor Augen, dass es für den wirksamen Einsatz von Arzneimitteln eine entsprechende Infrastruktur geben muss, zu der im gegebenen Fall etwa eine wirksame Kühlkette gehört. Ohne die Arbeit an dieser Infrastruktur wäre es nicht nur ethisch fragwürdig, sondern geradezu zynisch, Medikamente zu liefern, die dann nicht eingesetzt werden können. In diesem Zusammenhang hat der Ethiker Arthur Caplan[3] auch darauf hingewiesen, dass die Hilfe in der Bewältigung der Ebola-Epidemie bis auf weiteres nicht in erster Linie am Verteilungsproblem experimenteller Präparate hänge, sondern an der Ausrüstung mit den klassischen Ressourcen für eine Seuchenbekämpfung, zu der neben Schutzausrüstung für die Helfer auch eine entsprechende stattliche Sicherheitsstruktur gehört.

 

Hinsichtlich der konkreten Personen, die in die USA und nach Europa evakuiert wurden, muss für eine ethische Beurteilung zusätzlich bedacht werden, dass es sich um HelferInnen handelt, die ihre Gesundheit und ihr Leben riskiert haben, um den Menschen in den betroffenen afrikanischen Gebieten zu helfen. In der klassischen Verteilungsgerechtigkeits-Debatte kann in diesem Zusammenhang das Argument angeführt werden, dass solche HelferInnen zu Recht einen Vorrang bei der Zuteilung von Hilfe genießen sollten: zum einen aus moralischen Gründen der Reziprozität (ausgleichende Gerechtigkeit); zum anderen aus pragmatischen Gründen der Nachhaltigkeit (da die Gesunderhaltung von HelferInnen einen Multiplikatoreneffekt hat).

Inwieweit ist es gerechtfertigt, Ebola-Infizierte in die USA bzw. nach Eu-ropa zu evakuieren?

Diese Frage wird nicht nur im akademischen Ethikdiskurs gestellt, sondern auch in den Leserforen der Medien – was einen guten Einblick in die gesellschaftliche Moral ermöglicht. Der Umstand, dass HelferInnen, die sich mit Ebola infiziert haben, in die USA und nach Europa evakuiert wurden, wurde teils heftig kritisiert. Zum einen wird auf eine mögliche Ausbreitungsgefahr der Ebola-Epidemie hingewiesen, die dadurch erhöht werde, dass man die Isolation der betroffenen Gebiete aufgebe. Zum zweiten wird die Meinung vertreten, dass die Bevölkerungen in den USA und Europa keine Verantwortung für die Infizierten hätten, da diese sich sehenden Auges selbst in die Gefahr gebracht hätten.

 

Eines der eindrucksvollsten Zeugnisse dafür, warum es dennoch gerechtfertigt ist, die Betroffenen zu evakuieren, stammt von Susan M. Granz, der Pflegedirektorin von Emory Healthcare (jenem Krankenhaus, in dem die Evakuierten in den USA behandelt werden).[4] Abgesehen davon, dass ihr Krankenhaus und ihre MitarbeiterInnen speziell für die Versorgung solcher Infektionskrankheiten vorbereitet seien, sei das Engagement notwendig, um Ebola besser verstehen und damit in Zukunft bekämpfen zu können – auch zum Schutz der eigenen Bevölkerung. Jenseits solcher pragmatischer Überlegungen spricht Granz das moralische Kernargument an:

„Am allerwichtigsten ist: Wir versorgen diese Patienten, weil es das Richtige ist. Diese Amerikaner gingen großherzig nach Afrika auf einer humanitären Mission, um eine Krankheit zu bekämpfen, die speziell in Ländern ohne westliches Gesundheitssystem tödlich ist. Sie verdienen denselben selbstlosen Einsatz von uns. Ihnen die Hilfe zu verweigern, würde das ethische Fundament unserer Profession massiv in Frage stellen. […] Wir können unsere Handlungen von Unverständnis, Angst und Eigeninteresse leiten lassen, oder wir können sie von Wissen, Naturwissenschaft und Empathie leiten lassen. Wir können uns sorgen oder uns um andere sorgen.“

Ethik der öffentlichen Gesundheit

Die derzeitige Ebola-Epidemie konkretisiert und aktualisiert einige Themen der Ethik der öffentlichen Gesundheit (Public Health Ethik). Ebola ist auch ein europäisches bzw. nordamerikanisches Problem: nicht allein deshalb, weil HelferInnen aus diesen Regionen erkrankt oder verstorben sind; auch nicht allein deshalb, weil die Epidemie sich vielleicht doch auf den Westen ausbreiten könnte. Ebola ist – wie andere „orphan diseases“ auch – ein europäisches bzw. nordamerikanisches Problem, weil der Umgang des Westens mit den betroffenen afrikanischen Gebieten etwas über den Charakter unserer Gesellschaften aussagt. Eine verantwortungsbewusste Public Health Ethik fordert vor diesem Hintergrund ein professionelles Krisenmanagement, das sich von einer Haltung leiten lässt, wie sie Susan Granz formulierte.

Referenzen

[1] WHO. Ethical considerations for use of unregistered interventions for Ebola virus disease (EVD). http://www.who.int/mediacentre/news/statements/2014/ebola-ethical-review-summary/en/ (12.8.2014).
[2] Pollack A. Ebola drug could save a few lives: but whose? http://www.nytimes.com/2014/08/09/health/in-ebola-outbreak-who-should-get-experimental-drug.html?smid=tw-share&_r=0 (12.8.2014).
[3] Caplan A. Why do two white Americans get the Ebola serum while hundreds of Africans die? http://www.washingtonpost.com/posteverything/wp/2014/08/06/why-do-two-white-americans-get-the-ebola-serum-while-hundreds-of-africans-die/ (12.8.2014).
[4] Grant SM. I’m the head nurse at Emory: This is why we wanted to bring the Ebola patients to the U.S. http://www.washingtonpost.com/posteverything/wp/2014/08/06/im-the-head-nurse-at-emory-this-is-why-we-wanted-to-bring-the-ebola-patients-to-the-u-s/ (12.8.2014).