Patientenverfügungsstudien 2009 und 2014
In Österreich ist der Umgang mit Patientenverfügungen (PatV) seit 2006
gesetzlich geregelt[1]. Nach einer ersten Studie zu den praktischen Auswirkungen aus dem Jahr 2009[2] wurde Ende 2014 nun eine Folgeuntersuchung präsentiert[3], deren Ergebnisse im Folgenden zusammengefasst werden.
Häufigkeit und Wissensstand in der Bevölkerung
Laut der repräsentativen Befragung der Studie hat die Mehrzahl der österreichischen Bevölkerung (76%) zumindest von der
Möglichkeit einer PatV gehört, 40% haben sich bereits über die näheren Umstände einer PatV informiert, aber nur 4,1% haben laut eigenen Angaben eine PatV errichtet – das wären ca. 348.000 Personen (zum Vergleich: in Deutschland sind es 15% der Bevölkerung). Seit der ersten Studie 2009 hat sich die relative Zahl der PatV damit nicht erhöht. Etwa ein Drittel der Bevölkerung hat zwar schon vom Begriff der PatV gehört, weiß aber nicht genau, was damit verbunden ist; ein Viertel der Bevölkerung gab an, noch nie etwas von einer PatV gehört zu haben.
Gründe für die Errichtung bzw. Nichterrichtung einer PatV
Die befragten Personen gaben folgende Gründe für die Errichtung einer PatV an (gereiht nach Wichtigkeit): Selbstbestimmung wahren; niemand anderem zur Last fallen; Angst vor Leiden; religiöse/weltanschauliche Überzeugung; andere (Vernunft, Bekannte, Erleichterung für Angehörige). Folgende Gründe wurden angeführt, warum Menschen keine PatV errichten (gereiht nach Wichtigkeit): Wunsch nach Maximaltherapie; fehlende Zeit; Angehörige sollen entscheiden; fehlendes Wissen über Errichtungsmodalitäten; ÄrztInnen sollen entscheiden; zu viel Aufwand; sinnlos; Kosten. Bemerkenswert ist hierbei, dass ca. die Hälfte der Befragten eine PatV ablehnen, weil sie bewusst keine Einschränkung der medizinischen Behandlung wünschen, sondern sich eine Maximaltherapie erwarten.
Gesundheitsberufe
Unter den Angehörigen der Gesundheitsberufe gibt es Unsicherheiten, was
die Unterscheidung von verbindlicher und beachtlicher PatV sowie die
Modalitäten der Errichtung angeht. Viele Health Professionals gaben an, oftmals nicht sicher zu sein, welchen Stellenwert eine PatV aufweise. Beachtliche PatV werden von etlichen Health Professionals nicht als für die Entscheidungsfindung zu berücksichtigend anerkannt. Nach Aussagen einiger Interviewpartner aus Gesundheitsberufen werden eher Angehörige in die Entscheidungsfindung miteinbezogen oder sogar anstelle des Patienten als Entscheidungsträger herangezogen – was ohne rechtliches Mandat (Vorsorgevollmacht, Sachwalterschaft) rechtlich nicht gedeckt ist. Auch innerhalb der Bevölkerung weiß nur 1% der Befragten, dass ein Sachwalter zu bestellen ist, wenn sie nicht selbst für eine rechtmäßige Vertretung vorgesorgt haben.
Standardisierter Errichtungsprozess
Ein Großteil sowohl der allgemeinen Bevölkerung als auch der Health
Professionals wünscht sich einen standardisierten Prozess zur Errichtung einer PatV: von der Erstinformation über mögliche rechtliche Vorsorgeinstrumente, über die Errichtung des Dokuments selbst (idealerweise mittels standardisiertem Formular), bis hin zur Registrierung der PatV in einem für die Gesundheitseinrichtungen zugänglichen zentralen Register. – In der Realität fehlt in den untersuchten Krankenanstalten und Pflegeheimen ein routinemäßiger Hinweis auf die Möglichkeit, eine PatV zu errichten, völlig.
Kosten
Die Errichtung einer verbindlichen PatV ist im Österreich-Durchschnitt mit Kosten von ca. 350 Euro verbunden. In einigen Bundesländern (NÖ, Wien, Burgenland, Vorarlberg, Tirol, Salzburg) können die Rechtsberatungskosten
dadurch gesenkt werden, dass dort die Patientenanwaltschaften eine kostenlose Beratung durchführen. In OÖ, Kärnten und Steiermark steht eine solche kostenlose Beratung nur sozialbedürftigen bzw. rezeptgebührenbefreiten Personen zu.
Register
Ein zentrales Register zur Erfassung von (verbindlichen) PatV ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Derzeit gibt es zwei freiwillige Registrierungsstellen (Österreichische Notariate in Kooperation mit Österreichischem Rotem Kreuz; Österreichische Rechtsanwälte), die allerdings nicht alle verbindlichen PatV – und naturgemäß schon gar nicht die beachtlichen PatV – erfassen. Die Registrierung ist freiwillig und kostenpflichtig. Gesundheitsdienstleister wie z.B. Krankenanstalten können die Register abfragen. Derzeit sind ca. 20.400 PatV registriert.
Vorsorgevollmacht
Etwa zwei Drittel der Bevölkerung (67%) haben noch nie vom Instrument
der Vorsorgevollacht (VSV) gehört. Nur ca. 2% der Bevölkerung haben eine VSV errichtet. Informiert man Personen, die weder über PatV noch VSV Bescheid wissen, über beide, so würden die meisten eher eine VSV errichten wollen. Bei der Errichtung einer VSV ist allerdings in jedem Fall mit höheren
Rechtsberatungskosten zu rechnen, da die Patientenanwaltschaften diese Beratung nicht durchführen dürfen: im günstigsten Fall 88 Euro für die Errichtung bei Gericht (bei Notaren und Rechtsanwälten je nach Beratungsaufwand und Umfang der VSV mehrere hundert Euro); hinzu kommen 22 Euro für die Eintragung ins Österreichische Zentrale Vertretungsverzeichnis (ÖZVV).
Rechtlicher Reformbedarf
Das Instrument der PatV wird laut Studie im Wesentlichen nicht in Frage gestellt. Jedoch wird in folgenden Punkten ein juristische Reformbedarf gesehen: (1.) Die Bedeutung von beachtlichen PatV sollte vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des OGH[4] gesetzlich klargestellt bzw. gestärkt werden. (2.) Die fünfjährige Verbindlichkeitsdauer von verbindlichen PatV sollte verlängert oder vom Errichtenden selbst bestimmt werden. (3.) Bei den Voraussetzungen für einen konkludenten Widerruf besteht weiterhin
Klärungsbedarf hinsichtlich der Handlungsfähigkeit des widerrufenden Patienten. (4.) Ein bundesweites zentrales Register sollte verpflichtend eingeführt werden. Die Verantwortung dafür, dass die registrierte PatV mit dem aktuellen Willen noch übereinstimmt, wird hingegen niemand dem Patienten abnehmen können.
Vorsorgedialog
Mittlerweile ist aus österreichischer und internationaler Entwicklung
klar, dass die gesetzliche Regelung von PatV allein nicht ausreicht, dass
Menschen adäquat für Entscheidungen am Lebensende vorsorgen und dass diese Vorsorge sodann bei allfälligen Entscheidungen systematisch einbezogen wird. Um die Vorsorge zu stärken, bedarf es eines umfassenderen „Vorsorgedialogs“ („Advance Care Planning“; vgl. Newsletter 2014/2, S. 29), der unter der allgemeinen Bevölkerung und den Angehörigen
der Gesundheitsberufe das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Vorsorge erhöht und entsprechende Hilfestellungen anbietet.
Konsequenzen für Gesundheitseinrichtungen
Aus der vorliegenden Studie lässt sich nicht nur ein Handlungsbedarf für den Gesetzgeber ableiten, sondern ergeben sich auch Aufgaben für die Träger von Gesundheitseinrichtungen. Patienten können aktiv und standardisiert (bei der Aufnahme) nach dem Vorhandensein von Vorsorgedokumenten gefragt werden. Patienten, deren Gesundheitszustand End-of-Life-Entscheidungen absehbar werden lassen, können aktiv darauf angesprochen werden, um ihre diesbezüglichen Werthaltungen zu ergründen. Für die größere Menge von Patienten und Angehörigen können Informationsveranstaltungen zur Vorsorge am Lebensende abgehalten werden. Mit den vor- und nachgelagerten Gesundheitspartnern (Hausärzten, Pflegeheimen) kann ein standardisiertes Verfahren im Zuweisungs- und Entlassungsmanagement vereinbart werden, welches Patientenpräferenzen für Entscheidungen am Lebensende kommuniziert. Das Personal kann über die Möglichkeiten der Vorsorge für Entscheidungen am Lebensende informiert werden. – Alles Möglichkeiten, die kein Tätigwerden des Gesetzgebers erfordern, und schon
jetzt ein Ausdruck des Respekts vor dem Patientenwillen darstellen.
Referenzen
[1] Bundesgesetz über Patientenverfügungen (Patientenverfügungs-Gesetz – PatVG), BGBl. I 2006/55.
[2] Körtner U, Kopetzki C, Kletečka-Puler M, Inthorn J. Studie über die rechtlichen, ethischen und faktischen Erfahrungen nach In-Kraft-Treten des
Patientenverfügungs-Gesetzes (PatVG). Wien: Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Bundesministerium für Gesundheits; 2009.
[3] Körtner U, Kopetzki C, Kletečka-Puler M, Kaelin L, Dinges S, Leitner K. Rechtliche Rahmenbedingungen und Erfahrungen bei der Umsetzung von Patientenverfügungen: Folgeprojekt zur Evaluierung des Patientenverfügungsgesetzes (PatVG). Wien: Institut für Ethik und Recht in der Medizin; 2014.
[4] OGH 8.10.2012, 9 Ob 68/11g, RdM 2013/74, EF-Z 2013/3, Zak 2012/762, iFamZ 2013/14, EvBl 2013/60, MedR 2014, 387.