Mit dem Begriff „Biopolitik“ beschrieb Wolfgang van den Daele „die
gesellschaftliche Thematisierung und Regulierung der Anwendung moderner Naturwissenschaft und Technik auf den Menschen.“[1] Er zielte damit insbesondere auf Fragen der Humangenetik, Reproduktionsmedizin und Neurowissenschaften ab. Biopolitik, so van den Daele, reagiere auf „Grenzüberschreitungen“ – darauf, dass Voraussetzungen von menschlicher
Natur, die lange Zeit als fraglos galten, weil sie technisch gar nicht veränderbar waren, nun vermehrt gestaltbar werden. Das gilt im Übrigen nicht nur für Fragen der Life Sciences am Lebensanfang des Menschen, sondern analog für Fragen der klassischen Medizin am menschlichen Lebensende. Auch hier verschwimmen alte Grenzen und Vorstellungen, wird der Übergang vom Leben zum Tod von vielen Menschen als immer weniger „natürlich“ empfunden.
Grenzüberschreitungen führen in aller Regel zu kontroversen Diskussionen, wie sie die Ethik seit jeher kennt und führt. Auf gesellschaftlicher Ebene erhalten solche Diskussionen oftmals die Form einer Regulierungsdebatte. Die moralische Frage „Dürfen wir das alles, was wir da können?“, wird dann zur Frage „Soll rechtlich erlaubt sein, was da technisch möglich ist?“. Eine solche biopolitische Diskussion erfordert ein gerüttelt Maß an ethischer Methoden- und Reflexionsfähigkeit, um eine kurschlüssige Moralisierung des Rechts oder Verrechtlichung der Moral zu vermeiden. Gemessen an den Debattenniveaus in Deutschland oder der Schweiz hat die ethische Kompetenz in Österreich hier noch Luft nach oben.
Die vorliegende Ausgabe des Newsletters widmet sich schwerpunktmäßig zwei aktuellen biopolitischen Debatten in Österreich und erörtert deren ethischen Fragen und Argumente. Zum einen wurde das Fortpflanzungsmedizinrecht grundlegend überarbeitet. Zum anderen kam es zu einer mehrmonatigen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit Fragen am Lebensende. Beide Bereiche zählen zu den großen und international seit Jahrzehnten kontrovers debattierten Komplexen der Bioethik. Dies sollte aber nicht dazu führen, dass wir in Österreich einfach meinen: ‚Das ist ohnehin schon alles x-fach diskutiert, stimmen wir doch endlich ab.‘ Eine Ethik der Biopolitik erfordert, sich die kritische Reflexion zu den Fragen der „Grenzüberschreitungen“ selbst anzueignen, auch wenn das mühsam ist.
Referenzen
[1] van den Daele W. Einleitung: Soziologische Aufklärung zur Biopolitik. In: Ders, Hrsg. Biopolitik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften; 2005:7-41.