Grundgedanke
In öffentlichen ethischen Debatten wird mitunter vor einem „Dammbruch“ gewarnt. Aus methodischer Perspektiver versucht man beim Dammbruchargument (engl. slippery-slope argument; „Argument der schiefen Ebene“[1]) die Argumentation eines Gegenüber dadurch zu entkräften, dass man sie als einen kleinen, an und für sich allein vielleicht noch irgendwie rechtfertigbaren oder zumindest tolerierbaren Schritt bewertet, der aber den „Damm zum Brechen“ bringt, d.h. eine Fülle an weiteren, eindeutig nicht mehr rechtfertigbaren Schritten nach sich
zieht, welche man nicht mehr kontrollieren könne. Aus diesem Grund könne man, so die Anwender einer Dammbruchargumentation, auch bereits den ersten, kleinen Schritt nicht tolerieren.
Erscheinungsformen
Dammbruchargumente bauen im Wesentlichen auf zwei Überzeugungslinien auf: (1.) Auf logischer Linie wird darauf verwiesen, dass sich weitere Schritte logisch aus dem ersten, kleinen Schritt ableiten werden („Wer A sagt, muss früher oder später auch B sagen“). Ein Beispiel hierfür sind rechtsethische Diskurse, bei denen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ursprünglich angenommene Differenzierungen aus grundrechtlichen Gleichheitsgründen längerfristig nicht aufrecht zu erhalten sind. Die Konsequenz ist eine oftmals scheibchenweise Auflösung jener Differenzierung, die ursprünglich als essenziell für den Schutz des „Damms“
angesehen wurde, aus Sicht der Kritiker aber bereits den „Dammbruch“ im Keim angelegt hat. (2.) Auf historischer Linie wird darauf verwiesen, dass vergleichbare erste Schritte in der Vergangenheit (aus welchen Gründen auch immer) zu weiteren, ursprünglich unerwünschten Folgeschritten und damit zum Dammbruch geführt haben („Wie uns die Erfahrung/Geschichte lehrt, wird es dabei nicht bleiben“).
Schwierigkeit
Das Problem der Dammbruchargumentation besteht darin, dass es mehr oder weniger schwer fällt, die angeführten Folge-Ketten auf ihre Validität hin zu überprüfen. Streng-logische Ableitungen sind selten zu erbringen, fast immer geht es um Wahrscheinlichkeiten. Historische Vergleiche zeigen mögliche Szenarien auf, doch eine zwingende Ableitung ist aufgrund viel
zu komplexer Kontexte nie machbar. Ob Dammbruchargumente oder ihr Konter überzeugen können, hängt damit wesentlich von der Urteilskraft der
Argumentierenden ab, wodurch sie sich einer rein formalen Beweisführung
entziehen und immer unscharf bleiben werden. Für einen öffentlichen Diskurs, in dem es auch um die Wahrnehmung gesellschaftspolitischer Verantwortung geht, ist die Auseinandersetzung mit Dammbruchargumenten dennoch notwendig. Denn letztlich geht es stets um die Beurteilung von denkbaren Szenarien, wobei jedes Szenario (so ethisch hell oder düster es auch immer aussehen mag) mit Unsicherheit belegt ist.
Referenzen
[1] Guckes B. Das Argument der schiefen Ebene. Stuttgart: G. Fischer; 1997