Ausgangslage und Anlassfall
Das österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) stammt aus dem Jahr 1992. In den 13 seither vergangenen Jahren gab es zahlreiche technische Neuerungen in der Reproduktionsmedizin, und auch die in
der Gesellschaft vorhandenen Werthaltungen zu diesem Thema haben sich teilweise verändert. In etlichen Ländern Europas führten diese Entwicklungen zu gesetzlichen Änderungen.[1] In Österreich stieg der Druck in Richtung legislative Debatte in den letzten Jahren aufgrund einiger höchstgerichtlicher Verfahren.
Letztlich ausschlaggebender Fall für die nunmehrige Reform des
Fortpflanzungsmedizinrechts war die teilweise Aufhebung des FMedG durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH) Ende 2013 (siehe Newsletter 2014/1, S. 11). Obwohl der VfGH dem Gesetzgeber ein Jahr Zeit für allfällig gewünschte Reparaturen gab, wurde erst in allerletzter Minute ein Vorschlag für eine gesetzliche Änderung zur Diskussion gestellt, was – unabhängig von der inhaltlichen Positionierung – zu heftiger Kritik vieler Begutachter führte. Schließlich wurde aber das Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015 (FMedRÄG 2015) mit einer Zweitdrittelmehrheit im Nationalrat beschlossen.[2] Im Folgenden werden die wichtigsten Änderungen vorgestellt.[3]
Medizinisch unterstützte Fortpflanzung für lesbische Paare
Anlassfall für das FMedRÄG 2015 war die erfolgreiche Beschwerde eines
lesbischen Paares, dem eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung (z.B. eine In-vitro-Fertilisation, IVF) rechtlich verweigert wurde. Nunmehr steht dieser Weg lesbischen Paaren offen, nicht allerdings alleinstehenden Frauen, da man nicht rechtlich fördern wollte, dass ein Kind nur einen Elternteil hat. Auch schwule Paare bleiben von der medizinisch unterstützten Fortpflanzung ausgeschlossen, da in ihrem Fall eine (rechtlich nicht gewollte)
Leihmutterschaft nötig wäre.
Subsidiaritätsprinzip
Beibehalten wird der Grundsatz, wonach medizinisch unterstützte
Fortpflanzung nur dann durchgeführt werden darf, wenn andere (natürliche)
Versuche fehlgeschlagen sind.
Präimplantationsdiagnostik (PID)
Vielleicht am heftigsten umstritten war die Frage, ob bzw. unter welchen Bedingungen die PID in Österreich zugelassen werden soll. Bis zum FMedRÄG 2015 war Österreich neben der Schweiz das einzige Land Europas,
das die PID weitestgehend verbot. Es war zu erwarten, dass dieses Verbot unter dem Gleichheitsgrundsatz der Menschenrechte nicht aufrecht zu erhalten war, da die österreichische Rechtsordnung eine sehr weitgehende Erlaubnis des Schwangerschaftsabbruchs bei Vorliegen von Schädigungen des Fetus vorsieht, was als Wertungswiderspruch zur nicht erlaubten PID angesehen werden kann.[4]
Nunmehr ist die PID in drei Fallkonstellationen erlaubt: (1.) Wenn nach drei oder mehr Übertragungen entwicklungsfähiger Zellen (Embryonen) keine Schwangerschaft herbeigeführt werden konnte und dies wahrscheinlich auf eine genetische Disposition zurückzuführen ist. (2.) Wenn zuvor zumindest drei ärztlich nachgewiesene Fehl- oder Totgeburten eintraten und dies wahrscheinlich auf eine genetische Disposition zurückzuführen ist. (3.) Wenn aufgrund der genetischen Disposition eines Elternteils die ernste Gefahr einer Fehl- oder Totgeburt oder einer Erbkrankheit des Kindes besteht.
Alle drei Bedingungen weisen je eigene Problematiken auf: Bedingung (1) legt die Schwelle für eine PID sehr niedrig an, wenn man davon ausgehen muss, dass 40–50% aller Übertragungsversuche erfolglos bleiben.[5] Bei Bedingung (2) stellt sich die Frage nach der Praktikabilität, da sowohl die
Tatsache einer Fehl- oder Totgeburt ärztlich nachgewiesen, als auch die
genetische Ursache hierfür plausibilisiert werden muss. Am heftigsten
kritisiert wurde (von verschiedenen inhaltlichen Positionen aus) Bedingung (3). Das Gesetz selbst versucht, den Begriff „Erbkrankheit“ zu definieren: Demnach liegt eine Erbkrankheit im Sinne des FMedG vor, wenn das Kind während der Schwangerschaft oder nach der Geburt derart erkrankt, dass es nur durch den ständigen Einsatz moderner Medizintechnik oder den ständigen Einsatz anderer, seine Lebensführung stark beeinträchtigender medizinischer oder pflegerischer Hilfsmittel am Leben erhalten werden kann oder schwerste Hirnschädigungen aufweist oder auf Dauer an nicht wirksam behandelbaren schwersten Schmerzen leiden wird. Derartige Definitionsversuche weisen angesichts der Komplexität der Realität und der biomedizinischen Entwicklungen notgedrungen Unschärfen auf. Einerseits kann dies zu einer sehr weitgehenden Auslegung führen, was Kritiker als Gefahr einer „liberalen Eugenik“[6], also einer individuell induzierten, aber kollektiv prägenden, Aussonderung von Embryonen mit nicht erwünschten Dispositionen, sehen. Andererseits kann die Unterbestimmtheit dazu führen, dass Dispositionen, die einen Schwangerschaftsabbruch erlauben, keinen Einsatz von PID gestatten würden, was Kritiker als Fortbestand des
ursprünglichen Wertungswiderspruchs sehen.
Samenspende und Eizellspende
Die Samenspende von Dritten ist nun für jede Methode der medizinisch
assistierten Fortpflanzung erlaubt (zuvor nur für die Insemination). Gänzlich
neu ist die Erlaubnis der Eizellspende. Die Altersgrenzen (Spenderin <30 Jahre, Empfängerin <45 Jahre) weisen allerdings eine Inkonsistenz mit der
Altersgrenze für IVF auf, was bereits in der Gesetzesbegutachtung kritisiert
wurde. Eine „Eigenspende“ von Eizellen bleibt weiterhin an medizinische Gründe gebunden (z.B. bei bevorstehender Chemotherapie). Das sogenannte Social Egg Freezing[7] ist damit weiterhin nicht erlaubt. Die Eizellspende wurde angesichts der damit verbundenen gesundheitlichen Belastungen und Risiken für die Spenderin an ein umfassendes Kommerzialisierung-, Vermittlungs- und Werbeverbot geknüpft.
Auskunftsrecht, Beratungspflicht, Transparenz, Internationale Aspekte
Wie bisher muss Kindern, die durch Keimzellen Dritter entstanden sind, auf deren Verlangen nach Vollendung des 14. Lebensjahrs Auskunft über ihre biologischen Elternteile gegeben werden.
Wer medizinisch unterstützte Fortpflanzung in Anspruch nehmen oder Eizellen spende möchte, muss sich einer ärztlichen Beratung unterziehen, deren Anforderungen nunmehr umfassender und genauer geregelt wurden.
Neu hinzugekommen sind umfangreiche Aufzeichnungs- und Meldepflichten für die ärztlichen Leiter jener Einrichtungen, in denen medizinisch unterstützte Fortpflanzungen durchgeführt werden (v.a. Anzahl der Paare, Anzahl der Anwendungen, nach Alter und Methode, Anzahl herbeigeführter
Schwangerschaften und Geburten, Anzahl der PID-Fälle, gegliedert nach
Indikationen sowie Erbkrankheiten). Diese Transparenzkriterien wurden seit
längerem im Sinne des Konsumentenschutzes gefordert.
Nicht wirklich erfasst wurden hingegen jene Fragen, die sich im Zusammenhang mit grenzüberschreitendem „Reproduktionstourismus“ ergeben.
Referenzen
[1] Erlebach M. Wo steht Österreich vor und nach der Reform des FMedG? Ein europäischer Rechtsvergleich. iFamZ 2015;10(1):10-2.
[2] Bundesgesetz, mit dem das Fortpflanzungsmedizingesetz, das Allgemeine bürgerlicher Gesetzbuch, das Gentechnikgesetz und das IVF-Fonds-Gesetz geändert werden (Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015 – FMedRÄG 2015), BGBl. I 2015/35.
[3] Wendehorst C. Neuerungen im österreichischen Fortpflanzungsmedizinrecht durch das FMedRÄG 2015: Anpassung an europäische Entwicklungen. iFamZ 2015;10(1):4-8.
[4] EGMR 28.8.2012, Costa und Pavan v. Italien, Appl. No. 54270/10.
[5] Malizia BA et al. The cumulative probability of liveborn multiples after in vitro fertilization: a cohort study of more than 10,000 women. Fertil Steril. 2013;99(2):393-9.
[6] Habermas J. Die Zukunft der menschlichen Natur: Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik? Frankfurt/Main: Suhrkamp; 2005.
[7] Mohapatra S. Using egg freezing to extend the biological clock: Fertility insurance or false hope? Harv Law & Policy Rev. 2014;8(2):381-411.