"Sterben in Würde": Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt


Auftrag und Verlauf

Die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt (BEK) wurde durch das

Regierungsprogramm[1] damit beauftragt, sich mit verschiedenen ethischen Fragestellungen rund um das Lebensende auseinanderzusetzen. Eine Arbeitsgruppe*) bereitete daraufhin entsprechende Themen für das Plenum der BEK auf und stellte die Analysen in mehreren Sitzungen zur Diskussion. Zusätzlich veranstaltete die BEK im Oktober 2014 eine öffentliche Sitzung. Am 12. Februar 2015 stellte die BEK ihre Stellungnahme samt Empfehlungen[2] vor.

Fragestellungen und Bezugspunkte

In einem ersten Abschnitt erörtert die Stellungnahme den Kontext der

ethischen Diskussionen rund um das Lebensende. So sterben fast 70% der österreichischen Bevölkerung im Krankenhaus oder im Pflege- bzw. Altenwohnheim. Die Entwicklung der Biomedizin führte seit den 1950er-Jahren zu einer zunehmenden Medikalisierung des Lebensendes, sodass Sterben und Tod heute über weite Strecken als ein Problem der Medizin angesehen werden.

Zielvorstellungen zum Sterben in Würde

Die Stellungnahme weist darauf hin, dass der abstrakte Begriff der „Würde“ in einer pluralistischen Gesellschaft für verschiedene Lebenskonzepte offen sein muss. In concreto haben Menschen jedoch sehr wohl gemeinsame Vorstellungen davon, dass physisches, psychisches, soziales und existenziell-spirituelles Leiden gerade am Lebensende gelindert werden sollte. Dem stehen vielfältige Hindernisse entgegen: von Kommunikationsdefiziten auf

personaler Ebene bis hin zu Finanzierungsproblemen auf struktureller Ebene. Ein nicht zu vernachlässigender Faktor spielt die eigene Vorsorge für

Entscheidungen am Lebensende. Hier weist die Stellungnahme auf vorhandene Rechtsinstrumente wie Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht hin und bettet sie in einen umfassenderen Vorsorgedialog nach Vorbild internationaler Advance-Care-Planning-Programme ein.

Übertherapie und Sterben zulassen; Palliation am Lebensende

Ein zentraler Abschnitt der Stellungnahme greift das Problem unverhältnismäßiger Behandlungen („Übertherapie“) am Lebensende auf. Ein Verzicht auf solche Behandlungen wird mit Hinblick auf Therapieziel/Indikation und Respekt des Patientenwillens begründet. Letztlich geht es in diesem Zusammenhang um ein ethisch gerechtfertigtes und rechtlich legitimes Zulassen des Sterbeprozesses. Die Stellungnahme erörtert weiters grundlegende Aspekte der Palliative Care und der Hospizversorgung.

Umstrittene Fragen

In der Ethik sind mehrere Fragen am Lebensende strittig. In der Stellungnahme der BEK werden zunächst drei dieser Themen aufgegriffen und der Diskussionsstand erörtert: palliative Sedierung, assistierter Suizid und Tötung auf Verlangen. Während bei der palliativen Sedierung innerhalb der BEK dahingehend Übereinstimmung erzielt werden konnte, dass diese Intervention das Ziel einer begleitenden Symptomlinderung und nicht das Ziel des Todes verfolgt, und insofern bei sachgemäßer Anwendung gerechtfertigt werden kann, spiegelte der Diskussionsstand in der BEK zu den beiden anderen Themen den gesellschaftlichen Dissens auf diesem Gebiet wider.

Assistierter Suizid

Die Beihilfe zur Selbsttötung ist in Österreich strafrechtlich verboten. Die Stellungnahme der BEK gibt zunächst den Stand der (internationalen) ethischen Diskussion zu der Frage, inwieweit ein derartiges Verbot gerechtfertigt werden kann, wieder. In ihren Empfehlungen kommt die BEK dann zu unterschiedlichen Schlüssen: 16 Mitglieder sprechen sich für eine Änderung im Strafgesetzbuch aus, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Straflosigkeit der Suizidbeihilfe vorsehen würde. 8 Mitglieder argumentieren, dass ein Gewissenskonflikt, der angesichts einer im Raum stehenden Bitte um Suizidbeihilfe, ethisch und rechtlich ernstgenommen werden muss, dass diese Gewissensnot aber auch im Wege des bestehenden Strafrechts anerkannt werden und zu einer Straflosigkeit führen kann; eine Änderung des Strafgesetzbuches ist hierfür nicht notwendig.

Tötung auf Verlangen

Die Tötung auf Verlangen ist in Österreich ebenfalls strafrechtlich verboten. 23 Mitglieder der BEK empfehlen, dieses Verbot aufrecht zu erhalten, u.a. deshalb, weil die Missbrauchsgefahr bei einer Fremdtötung größer ist als bei einer (assistierten) Selbsttötung. 1 Mitglied vertritt hingegen die Meinung, dass die Tötung auf Verlangen unter denselben Voraussetzungen rechtlich erlaubt sein sollte, wie dies (bei einer allfälligen Gesetzesänderung) für einen assistierten Suizid gelten würde.

Ethik und Politik des Lebensendes

Die Stellungnahme und Empfehlungen der BEK zu Fragen des Lebensendes

artikuliert und begründet über weite Strecken einen breiten gesellschaftlichen Konsens, insbesondere was die Themen „Palliative Care“ und „Übertherapie“ betrifft. Angesichts der realen Fragestellungen in der klinischen Ethik ist gerade letzteres Thema von höchster Relevanz. Zur ethischen Diskussion zählt aber nicht nur die Stabilisierung und Rechtfertigung des moralischen Konsenses, sondern die kritische Auseinandersetzung mit divergenten moralischen und außermoralisch-ethischen Auffassungen. In diesem Sinn ist die BEK ihrer Aufgabe nachgekommen, indem sie ethisch (auch international) umstrittene Themen aufgegriffen hat.

Referenzen

*) Der Herausgeber dieses Newsletters war Mitglied der Arbeitsgruppe. Die hier getätigten Ausführungen geben seine persönliche Analyse des Prozesses und des Ergebnisses wieder und stellen keine offizielle Stellungnahme der BEK dar.

[1] Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung 2013-2018, https://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=53264 (9.3.2015).

[2] Bioethikkommission. Sterben in Würde: Empfehlungen zur Begleitung und Betreuung von Menschen am Lebensende und damit verbundenen Fragestellungen. Stellungnahme vom 9. Februar 2015, http://www.bundeskanzleramt.at/DocView.axd?CobId=58509 (9.3.2015).