Demenz und ihre komplexen Herausforderungen
Demenzielle Erkrankungen stellen westliche Gesellschaften vor komplexe Herausforderungen. In Österreich leben derzeit ca. 130.000 Personen mit irgendeiner Form der Demenz; ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung wird sich bis zum Jahr 2050 verdoppeln: Während im Jahr 2000 ein Demenzkranker auf ca. 60 Personen im erwerbsfähigen Alter kam, werden Mitte des 21. Jahrhunderts nur mehr ca. 17 erwerbstätige Personen einem Menschen mit Demenz gegenüberstehen[1].
Der Umgang unserer Gesellschaft mit dieser Entwicklung verlangt vielfältige Ansätze. Zum einen geht es um adäquate Versorgungsstrukturen: um Angebote und Abläufe, die zwischen familiären und professionellen, stationären und mobilen Helfern, Langzeit und Akut, Disziplinen und Berufsgruppen etc. so abgestimmt sind, dass sie den Bedürfnissen der Demenzerkrankten gerecht werden. Zum anderen stellt die Demenz uns als Personen, Organisationen und Gesellschaften auch vor die Frage unseres
je eigenen Selbstverständnisses: Wie verstehen wir uns und einander, wenn
kognitive Leistungskraft abnimmt, wenn Kommunikation nicht mehr auf dem gewohnten Weg stattfindet?
Die ethischen Fragestellungen, die mit diesen komplexen Aufgaben verbunden sind, sind schon auf individualer Ebene mannigfaltig (vgl. Newsletter für Ethik & Recht, 2014/3, S. 41): Sie reichen von Fragen der Diagnosemitteilung (Stichwort „Demenzgen“) über Abwägungen zwischen Freiheit und Sicherheit (Stichwort „Freiheitsbeschränkende Maßnahmen“) bis hin zu Aufgaben der Palliative Care am Lebensende von Demenzerkrankten.
Demenz und Organisationsethik
Die Bewältigung der ethischen Herausforderungen, die sich im Umgang mit Menschen mit Demenz stellen, betrifft nicht nur die individuale Ebene. Ethisch relevante Fragen im Kontext von Demenz haben auch sehr viel mit organisationalen Fragen zu tun, z.B. mit dem Aufnahmeprozess in einem Krankenhaus, mit den Tagesabläufen im Pflegeheim, mit fachlicher und emotionaler Kompetenzstärkung der Sorgenden und ihrer Selbstsorge oder mit baulichen Maßnahmen und der Milieugestaltung in den Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen.
Demenz im Fokus der Barmherzigen Brüder
Die Erkenntnis, dass die Sorge um Menschen mit Demenz (und die Selbstsorge der Helfenden) nur dann nachhaltig wirken kann, wenn sich eine
ganze Organisation dieser Herausforderung annimmt, hat die Barmherzigen Brüder dazu bewogen, die Demenz in ihren organisationalen Fokus zu stellen. Dazu hat zum einen die Provinzethikkommission das Thema ganz oben auf ihre Agenda gesetzt. In einer Arbeitsgruppe werden die ethische Relevanz des Themas „Demenz“ und seine vielfältigen ethischen Handlungsfelder für die Entscheidungsträger der Ordensprovinz und der Einrichtungen aufgearbeitet. Zum zweiten hat das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien das Thema „Demenz im Akutkrankenhaus“
in seine offizielle Strategie aufgenommen. Ziel ist es, die strukturellen und
persönlichen Voraussetzungen für ein demenzfreundliches Krankenhaus[2] zu stärken.
In diesem Sinn wird das Thema „Demenz“ in dieser Ausgabe des Newsletters
sowie in den folgenden regelmäßig thematisiert (siehe z.B. die Informationen über aktuelle Fachliteratur im Abschnitt „Nachrichten & Termine“, unten).
Referenzen
[1] Höfler S. et al. Österreichischer Demenzbericht 2014. Wien: Gesundheit Österreich GmbH; 2015.
[2] 6. Landesgesundheitskonferenz Berlin: 19. November 2009 Rathaus Schöneberg Berlin: Dokumentation. Berlin: Fachstelle für Prävention und Gesundheitsförderung im Land Berlin; http://www.berlin.de/sen/gessoz/_assets/publikationen/gesundheit/6__lgk_dokumentation_1_.pdf (13.7.2015).