Wie "invasiv" ist am Lebensende vertretbar?


Patientenwunsch nach Ösophagus-Stent [1]

Herr K. ist an einem Kardiakarzinom in fortgeschrittenem Stadium erkrankt; eine kurativ ausgerichtete Behandlung ist nicht mehr möglich. Aufgrund zunehmender Dysphagie wird eine intraluminale Strahlentherapie durchgeführt und eine PEG-Sonde gesetzt. Herr K. äußert jedoch den Wunsch, daneben wieder oral essen zu können. Darauf folgt eine Gastroskopie mit Implantation eines Ösophagus-Stents. Nach dieser Intervention verschlechtert sich der Allgemeinzustand des Patienten aber rapide, obwohl eine Stentdislokation ausgeschlossen werden kann. Herr K. ist unter anderem von einem permanenten Würgereiz mit Schleimerbrechen geplagt. Mittlerweile kann die Nährstoffverabreichung selbst über die PEG-Sonde aufgrund eins Darmverschlusses nicht mehr fortgesetzt werden. Bevor der Patient über das Angebot des Arztes, eine parenterale Ernährung durchzuführen, entscheiden kann, verstirbt er auf der Palliativstation.

Was ist "invasiv"?

In der Diskussion des geschilderten Falls weisen Schatz-Krienzer und Nauck[1] zunächst treffend darauf hin, dass die Grenze zwischen „invasiv“ und „nicht-invasiv“ nicht immer objektiv und klar bestimmbar ist. Man könnte hinzufügen: Für die ethische Beurteilung im Kontext von Palliative Care hat die terminologische Unterscheidung „invasiv/nicht-invasiv“ eine genauso begrenzte Begründungskraft wie die begriffliche Unterscheidung zwischen „künstlich“ und „natürlich“ (z.B. bei der Ernährung[2]). Allgemein kann aber festgehalten werden: Wenn weniger invasive Behandlungsmaßnahmen zur Verfügung stehen, um ein palliatives Therapieziel zu erreichen, dann sollte diesen der Vorrang zukommen – wobei die Art und Intensität der Invasivität wohl im konkreten Fall zu begründen wäre. Schatz-Krienzer und Nauck stellen dazu in ihrer Fallbesprechung hilfreiche Kriterien für die Entscheidungsfindung dar[1].

Relative Indikation und Patientenwunsch

Schatz-Krienzer und Nauck halten fest, dass eine widersprüchliche Evidenzlage zu Ösophagus-Stents bei Malignomen die Indikationsstellung zu einer palliativmedizinischen Herausforderung macht[1]. Im Fall von Herrn K. sei die Stentimplantation allerdings die einzige Möglichkeit gewesen, den Patientenwunsch nach oraler Nahrungsaufnahme zu erfüllen. Gerade in Situationen der relativen Indikation – wenn also das Verhältnis von potenziellem Nutzen und potenziellem Schaden einer Intervention schwer zu gewichten ist – kommt dem Patientenwillen eine maßgebliche Bedeutung

zu[3]. In der Regel braucht der Patient in diesen Situationen eine fachlich und menschlich gute Beratung, wozu der Arzt – unter Umständen im Rahmen einer ethischen Fallbesprechung – verpflichtet ist. Hier kann es auch dazu kommen, dass ein Arzt eine vom Patienten gewünschte, aber aus professioneller Sicht nicht vertretbare, Intervention aus ethischen Gründen nicht selbst durchführen kann. Im Fall von Herrn K. könnte aber dessen Wunsch nach oraler Nahrungsaufnahme in einer reinen Palliativsituation für das Behandlungsteam so nachvollziehbar gewesen sein, dass man ihn als ultima ratio mitgetragen hat.

Referenzen

[1] Schatz-Krienzer SA, Nauck F. Ist invasive Therapie am Lebensende medizinisch und ethisch vertretbar, wenn Symptomkontrolle und Verbesserung der Lebensqualität im Vordergrund stehen? Wien Med Wochenschr. 2014;164(15-16):308-312. DOI 10.1007/s10354-014-0298-5.

[2] Truog RD, Cochrane TI. Refusal of hydration and nutrition: irrelevance of the „artificial“ vs „natural“ distinction. Arch Intern Med. 2005;165(22):2574-6

DOI 10.1001/archinte.165.22.2574.

[3] Janssens U et al. Therapiezieländerung und Therapiebegrenzung in der Intensivmedizin: Positionspapier der Sektion Ethik der DIVI. MedR. 2012;30(10):647-50. DOI 10.1007/s00350-012-3247-6.